Offensichtlich verbreitet sich schon seit einiger Zeit die politische und intellektuelle Stimmung in Europa, die die konservative Argumentation immer stärker als unerwünscht sieht bis zur Annahme sie völlig anzuprangern. Eine gute Illustration dieser Versuchung bietet das Gastkommentar in NZZ von Ulrich Schmid „Rückkehr der Ideologien” an.
Die Hauptthese des Beitrags lässt sich folgend darstellen: Konservatismus ist heute viel schlimmer als Populismus, weil er sich auf die „Anti-Westlichen” Ideologien schützt, die in Russland und in manchen Mitteleuropäischen Staaten blühen. Um diese These zu beweisen versucht Schmid die letztlich verschärfte Interpretation des Abreibungsgesetzes in Polen mit dem massiven Wahlen Betrug von Lukaschenko in Belarus, mit der Krim Annexion von Putin sowie mit seiner brutalen Jagt nach Oppositionsführern wie letztlich im Nawalny Fall zusammenzustellen.
Um ein solches Gesamtbild der Gefahr eines beinharten Konservatismus für den Westen und Europa zu erreichen muss man leider viel zu oft die Fakten bei Seite lassen. Bedauerlicherweise mischt Schmid auch mein Buch „Süd und Nord. Texte zur polnischen Kulturgeschichte”, letztlich in Deutsch erschienen, in seine Angelegenheit ein. Die Darstellung des Buches im Text ist für mich bestürzend und hat mit dem Inhalt wenig zu tun, was jeder leicht bei der Lektüre feststellen kann. Um aus dem Buch das Werkzeug der gegenwärtigen Politik von Recht und Gerechtigkeit in Polen zu machen werde ich zu dem wirkenden Berater des Polnischen Präsidenten gemacht, den ich seit einer Dekade nicht mehr bin. Auch in der Darstellung der Auseinandersetzung um die neue Verschärfung der Interpretation des Abreibungsgesetzes in Polen, die für Schmid ein Beweis für den beinharten anti-westlichen Konservativismus ist, spielen die Fakten nicht große Rolle. Er stellt diese umstrittene Sache so dar, als ob neuerdings tatsächlich Abtreibung auch nach Vergewaltigung oder Inzest, sowie bei akuter Gefährdung des Lebens der Mutter in Polen verbietet sei, was nicht wahr ist.
Die Darstellung des Buches im Text ist für mich bestürzend und hat mit dem Inhalt wenig zu tun, was jeder leicht bei der Lektüre feststellen kann
Was im Text von Schmid vor allem nicht stimmt ist das Gesamtbild des anti-westlichen Konservatismus, in dem Polen mit Anschluss zu Belarus und Russland eine so prägnante Rolle zugeordnet ist. Jedoch unter dem Druck des Faktischen muss das Bild zerfallen, da nichts, nicht mal die politischen Verhältnisse in Polen, oder die Situation der Medien dort, oder Beachtung der Grundrechte begründen eine Zusammenstellung mit Russland oder Belarus. Dagegen auf eine sonderbare Art und Weise bestärkt das Bild gerade das, woran Putin tatsächlich seit langem interessiert ist: den gegenwärtigen Westen dem Konservativismus entgegenzustellen. Denn was Schmid vor allem nicht zugeben will, ist dass der Konservatismus zu Europa angehört, also dass es wesentliche konservative Argumente gibt, die den Westen nicht bestreiten sondern um die Zukunft des westlichen Models ringen. Er will den Konservatismus außerhalb von Europa haben und daher nicht bei Zufall nutzt er in diesem Kontext Huntingtons These vom „Clash of Civilisations”.
Man braucht die Politik von der Recht und Gerechtigkeit in Polen und seinen Leader Jarosław Kaczyński nicht mögen, doch aus diesem Grund Konservativismus von Europa auszugrenzen und ihn völlig Putin preiszugeben ist eine ganz gefährliche Idee. Ohne Erwägung von konservativen Argumenten, unter anderem zur Menschenwürde, zur Religiosität und Kulturen, zur Grenzen der Wissenschaft, Politik und Ökonomie, wird die Kraft des Westens zur selbstkritischen Betrachtung allmählich verschwinden und Europa in Zukunft zu einem traurigen, beinharten und höchst ideologisierten Platz machen, wo eine Diskussion zwischen unterschiedlichen Einsichten und Positionen nicht mehr möglich wird.
Marek A. Cichocki